Margit Preis ist nicht zu fassen.

Die Feststellung, Margit Preis sei nicht zu fassen, ist mehrfach gemeint:
Die jüngste Schöpfung der Wiener Künstlerin war eine Ausstellung samt Performance in der Alten Schieberkammer beim Meiselmarkt, ein Werk mit dem deftigen Titel "dem Wasser is‘ wurscht". Wer sich am 25. Mai 2023 da aber etwas bodenständig Wienerisches erwartete, konnte lange warten. Eine Blockflöte (Günther Bosek), ein Schlagzeug (Dominik Dusek), ein Tanz (Margit Preis), ein aufmerksames Publikum (wir) und alles gefasst von überwiegend neuen, akkurat gehängten Bildern schufen für zwanzig Minuten einen Erlebnisraum, der dicht, fremd und vertraut zugleich war:
Am 25. Mai 2023 legten die drei Künstler:innen nach nur einmaligem Ausprobieren und ohne gemeinsame Aufführungspraxis eine improvisierte Performance hin, die neu, unerwartet und originell war. Und dabei lief alles völlig selbstverständlich ab, als handelte es sich um eine kanonisierte Kunstform, die bereits vielfach beschrieben, einstudiert und kopiert worden wäre. Margit Preis war einfach wieder einmal nicht zu fassen.
Wir Teilnehmer:innen waren Teilhaber:innen an einer Schöpfung. Und was sich da vor unseren Augen auftat, war ungeheuerlich. Die drei Perfomer:innen waren auf den ersten Blick alle sehr achtsam und ausgesucht höflich. Also ein richtig friedlich und idyllisches Come-Together in einer bukolisch imaginierten Landschaft mit barocker Flötenmusik und einer indischen Tänzerin? Weit gefehlt. Selten waren Dekadenz und Zerfressenheit so unverfroren präsent wie an diesem Abend. Die Performance hatte eine Vielschichtigkeit, die an Symphonien von Gustav Mahler und Dimitri Schostakowitsch erinnerte.
Fangen wir mit den ausgestellten Bildern an, die der ganzen Performance eine Fassung gaben. Auch die waren auf den ersten Blick mal ganz harmlos. Da hingen ein Goldfisch, die Vergrößerung einer menschliche Zelle sowie Ansichten thailändischer und indischer Landschaften mit Buddhas, Pagoden und Lingams. Je länger die Performance dauerte, desto größer wurden jedoch die Abgründe. Der Goldfisch schwimmt in einem kleinen runden nackten Wasserbecken ohne jegliche Pflanzen und Steine am Boden. Das Bild aus dem Jahr 2010 heißt "Ego". Bei dem armen egomanischen Goldfisch mussten einige Betrachter:innen ein wenig schlucken, der Assoziationsreigen konnte beginnen. Wenn Margit Preis dann obendrein als Tänzerin mit anmutigen Bewegungen dem Publikum kokettierende und beinahe obszöne Blicke zuwarf, wurde der doppelte Boden der Darbietung sichtbar. Unverfroren sprang auf einmal das Ego der Performenden ums Eck, und hätte der Flötenspieler eine Schalmei in den Händen gehabt und sich noch ein wenig mehr bewegt, wir wären ihm wohl schon gerne und rasch gefolgt wie die Kinder dem Rattenfänger aus Hameln.
Die große farbige "human cell" aus dem Jahr 2022 wiederum erinnerte auf den ersten Blick an den Biologieunterricht. Sie bildet tatsächlich eines der bis dato detailliertesten menschlichen Zellbilder ab, welche üblicherweise mit Röntgenstrahlung, nuklearer Magnetresonanz und Kryoelektronenmikroskopie gewonnen werden. Auf den zweiten Blick erkannte man aber, dass die eine Seite der an eine Vulva erinnernden zentralen Öffnung gezähnt ist wie eine fleischfressende Pflanze. Die Zelle wurde auf einmal unheimlich und es tauchten Assoziationen an Krebs und Covid-19 auf.
Die Idyllen der Reisecollagen "refined breath" (2007), "Julley" (2014) und "Narmade Har" (2021) konnten die chinesischen Repressalien den Tibeter:innen gegenüber nicht vergessen machen, und dann gab es noch Bilder zur Umweltzerstörung ("Lobau bleibt", 2023), zur Wirklichkeit als Illusion ("Echo", 2023) oder ein ebenfalls jüngst entstandenes Memento Mori: ein Totenkopf im Wasser mit dem Bildtitel "dem Wasser is‘ wurscht" aus dem Jahr 2022. In Anlehnung an "Gedenke Mensch, dass du aus Staub bist, und zum Staub wirst du zurückkehren" meint dieses Wasserbild wohl "Wir sind alle aus Wasser und zum Wasser werden wir zurückkehren."
Womit sich der Kreis schloss, denn das war zwar ein bedrückendes Bild, andererseits aber auch eine verlockende Vorstellung und Schwupps war man bei Alan Watts taoistischem Kultbuch von 1975 "Der Lauf des Wassers".
Im Hintergrund der Performance entspannendes Meeresrauschen. Gemeinsam mit der ehemaligen Schieberkammer der Wiener Hochquellwasserleitung spannte das alles einen weiten Bogen mit Blicken in die Abgründe der Seele und der Menschheit und einem dennoch versöhnlichen Ende, welches auch durch die Werke "Selbst", "Wasserkristall" und "Wasserfall" (alle aus dem Jahr 2023) zu empfinden war.
Margit Preis malt also offensichtlich wieder. Ist das nicht ein Widerspruch? Hat sie 2012 nicht groß verkündet, dass die Malerei nun beendet sei [vgl. "Finalement: Es hat sich ausgemalt"]? Und jetzt doch wieder neue Bilder?
Die Antwort erfordert hier ausnahmsweise keinen Verweis auf die "Unfassbarkeit" von Margit Preis: Früher musste sie malen, um die Eindrücke von außen zu verarbeiten, um das eigene Ego auszubalancieren und um Freiräume zu erkämpfen. Dieses Müssen ist und bleibt beendet. Die Notwendigkeit des künstlerischen Outputs ist geschwunden. Gleichwohl schöpft und schafft sich die Welt weiterhin aus und durch Margit Preis, die sich seit geraumer Zeit auch als Meditalin bezeichnet und so ein kontinuierliches Fortschreiten körperlicher und geistiger Durchlässigkeit benennt. Diese wachsende Transparenz manifestiert sich nun im Tanz, in Performances und auch in neuen Bildern. Und sie zeigt sich in der Wahl des Materials: Die Künstlerin arbeitet spätestens seit "Finalement" fast ausschließlich mit farbiger Tusche, die sie mit Feder und Pinsel auf Leinwand aufträgt – eine Technik von immenser Farbkraft und luftiger Zartheit.

Christian Kniescheck, 2023
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