Dem Wasser is' wurscht

"Das sind alles politische Bilder", ist der erste Gedanke, den ich beim Betreten der Ausstellung von Margit Preis habe. Wer ihre Kunst kennt, den mag diese Reaktion erstaunen. Aber tatsächlich sehe ich in nahezu allen Bildern eine künstlerische Reaktion auf eine Welt, die sich nicht erst seit der Pandemie in umfassenden multiplen Krisen befindet. Eine Welt, die schmerzhafte und schwierige Fragen aufwirft: "Wie soll man in einer Welt leben, die von so vielen Katastrophen, Krieg und Gewalt gezeichnet ist?" "Wer ist der Mensch in einer solchen Welt?"
Für mich sind die Ausstellung und die Performance Margits Antworten auf diese Fragen – freilich nicht unmittelbar politische, sondern durch ästhetische Reflexion gebrochene Antworten, in denen Margit Preis ihr Bild, ihre Deutungen und Vorstellungen des Verhältnisses zwischen Mensch und Welt zum Ausdruck bringt. Es sind in gewissem Sinn spirituelle Antworten, die sich in den Kunstwerken zeigen – und sie lassen ein langjähriges Ringen um eine in Freiheit gewonnene Antwort auf diese Fragen erahnen.
Diese Deutung liegt wohl an meiner "déformation professionelle": Ich bin katholische Theologin und ich fühle mich an diesem Abend an den biblischen Schöpfungsbericht im Buch Genesis erinnert. Auch dieser ist ja eine Antwort von Menschen, die sich inmitten von politischer Repression und unzähligen Krisen im Exil dieselben Fragen stellen. Deren Antwort lautet: Die Welt ist eine Schöpfung Gottes –und sie ist im Grunde gut. Der Mensch ist Gottes Geschöpf und gut, findet sich aber infolge seines Begehrens aus dem Paradies vertrieben vor und ist daher frei und verpflichtet, zwischen gut und böse zu unterscheiden. Und er wird erst in der Beziehung zum Anderen, zum Du, wahrhaft Mensch. Die Antwort der Bibel ist also theologisch und ethisch.
In manchem sehr ähnlich, in manchem deutlich anders ist die Anthropologie und Schöpfungslehre, die sich in Margits Bildern und Performance zeigt. Diese Antwort ist ästhetisch. Die Kunst, die ich an diesem Abend erleben darf, ist für mich ein Spiegel der Situation von Menschen in der Spätmoderne. Ästhetik ist die Antwort auf die Vertreibung der (westlichen) Menschen aus dem (vermeintlichen) Paradies des ewigen Fortschritts und einer Lebensweise, die den Planeten und die Welt zu zerstören droht. Dieser spätmoderne Mensch weiß zugleich um seine Verantwortung für die Krisen der Welt.
Umgeben von Bildern, die diese Erfahrungen einer krisenhaften Welt ästhetisch widerspiegeln, beginnt die Performance mit einem Schöpfungsakt: Aus dem Rauschen des Meeres erhebt sich ein Geschöpf – in seiner körperlichen Erscheinung reduziert auf das Wesentliche, konturiert, zart und zerbrechlich. Der Mensch kommt aus den Wassern. Dies belegt ja auch die Evolutionstheorie – ich erinnere mich an die Lehrbücher meiner Jugend, in denen ich fasziniert die Bilder jener Quastenflosser und anderer Lebewesen gesehen habe, die dem Meer entsteigen und unsere Vorfahren sind. Das Leben entsteht im Wasser, lehrt die Biologie. Auch in der Bibel spielt das Wasser eine Schlüsselrolle: die Urflut vor der Schöpfung, über der der Geist Gottes schwebt; die Wasser, die vom Land geschieden werden und so zur Ordnung im Chaos beitragen; die Sintflut, die alles Böse hinwegschwemmt; das Rote Meer, durch das das Volk Israel seinen Weg in die Freiheit findet; die Taufwasser im Neuen Testament, in denen Menschen zu neuem, geistigen Leben erwachen. Aus welchen Wassern wird das Geschöpf, das Margit repräsentiert, geboren? Mit welchen Wassern ist es gewaschen?
Margits den Wassern entstiegenes Geschöpf kann – anders als Pflanzen und Tiere – tanzen. Die Künstlerin nimmt uns hinein in diese, für den Menschen so einzigartige, Bewegung, die keinen Nutzen, keinen Zweck, kein Ziel hat, sondern um ihrer selbst willen geübt wird und einfach nur schön ist. Freilich will ein Tanzen, das wir hier gesehen haben, geübt und gelernt sein. Margits Geschöpf stammt also wohl nicht aus der Urflut, sondern aus den Wassern der Läuterung, der Reinigung, der Klärung.
Zudem ist die Schönheit dieses Tanzes weder idyllisch noch harmonisch, wohl aber voll von Leben in all seiner Fülle. So sieht das Publikum ein ambivalentes Geschöpf – zwischen Stärke und Schwäche, Aufgerichtetheit und Gebeugtheit, Verletzbarkeit und Unverwundbarkeit, Freude und Ernst, Kraft und Zärtlichkeit, Durchlässigkeit und Undurchdringlichkeit. So tanzt das Geschöpf durch die Welt – umgeben von Bildern, von denen jedes einen bewusst gewählten, wohl überlegten Platz hat, begleitet von einem Meeresrauschen, das ebenso unverwandt und gleichgültig ist wie es Rhythmus und Geborgenheit vermittelt. Ein Bild für die Natur, der das Treiben des Menschen einerlei ist – oder für eine göttliche Energie, die uns umgibt?
Wie lange kann ein Mensch alleine tanzen und um sich selbst kreisen? Der Tanz erinnert mich irgendwann an die Sufis, die mystischen Derwische im Islam, die – auch in Gruppen – stundenlang für sich alleine tanzen und sich in spiritueller Versenkung immer um sich selbst drehen, ohne Kontakt zu den anderen. Mir war solches Solo immer schon unangenehm. Wird es auch der Künstlerin, unserem spätmodernen Menschen, zu viel? Das dem Wasser entstiegene Geschöpf beginnt, mit Blicken und Bewegungen Kontakt zum Publikum aufzunehmen, das ernst und gebannt auf die Tänzerin blickt. Sie sieht den Menschen direkt und klar in die Augen, lächelt, kokettiert, verliert sogar ihren Ring, den eine Zuseherin dann an sich nimmt. Der Tanz wird dialogisch.
Wie sehr Kontakt und Beziehung aber sogar von Anfang an die Performance prägen, wird mir erst im Lauf der Zeit und durch nachfolgende Gespräche durch die Rolle und Bedeutung der Musik bewusst – freilich unsichtbar für jene, die nicht wissen, dass es sich hier nicht um ein einstudiertes, sondern um ein spontanes und ungeprobtes Jamming handelt. Wir hören und sehen drei Instrumente: eine unkonventionelle Kombination aus Schlagzeug, Blockflöte und dem Leib der Künstlerin, die aufeinander hören und antworten. Dieses unsichtbare Zuhören, der permanente Dialog sind konstitutiv für den Lebenstanz des Geschöpfes. Ich selbst nehme nicht wahr, wer hier den Ton angibt – ich vermute: Niemand. Alle schauen, hören und reagieren aufeinander. Und dies mit einer Perfektion, die auf mich den Eindruck monatelanger Proben macht.
Als ich dies begreife, bin ich fasziniert. In der Anthropologie der Künstlerin spielt Beziehung eine Schlüsselrolle – aber diese verläuft durch das Hören, das Zu- und Aufeinanderhören. So kann der spätmoderne Mensch offenkundig leben und überleben. Und diese Art des Hörens ist ebenso wie das Malen eine Kunst, die erlernt und geübt werden will und sich nur in Freiheit vollziehen kann. Der Theologin in mir fällt ein, dass das Hören auch in der Bibel die zentrale Rolle spielt: Der Glaube kommt vom Hören. Hier finde ich dieses Hören durch die Performance dargestellt wieder.
Mir wurde an diesem Abend das Verständnis für einen Existenzentwurf geschenkt, der mir selbst zwar sehr fremd ist, mich aber gelehrt hat, dass ich vor allem auf das Unsichtbare achten "muss", um hinter den Tänzen und Bildern eine Sicht auf das Werden und Leben zu entdecken, die von einer tiefen Sensibilität für die Welt geprägt ist und sie im Modus der Kunst verarbeitet.

Regina Polak, Wien 2023
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