Margit Preis
und die Stilvielfalt des Versteckten Realismus


"Margit Preis lebt und arbeitet in Wien und hat keinen Stil." Ein ungewöhnliches und aus marketingtechnischer Sicht vernichtendes Urteil, welches sich aber seit Jahren wacker hält.
Die Stilvielfalt von Margit Preis ist tatsächlich atemberaubend: Da findet sich ein verspielter, körperlicher, ja geradezu barocker Kubismus neben impressionistischen Reisebildern. Plakative politische Statements wechseln mit Götterbildern in traditioneller balinesischer Maltechnik, und der Wiener Aktionismus ist in Zyklen wie Frohe Ostern präsent, bei denen bemalte Männerhoden Modell hingen. Margit Preis kreiert Porträts, die an Kokoschka denken lassen, abstrakte Werke, die an die russische Avantgarde erinnern, traditionelle Akte, kalligraphische Kleinode und manchmal auch ganz einfache und naiv dargestellte Szenen und Themen. Quer über die Jahre lassen sich verschiedene Zyklen und Schaffensstränge erkennen, zur eigenen Familie, zu Natur, zu Organen, zu Selbstporträts und zu Österreich.
Was will uns diese Frau sagen? Die Frage ist an sich schon falsch. Margit Preis ist so nicht zu fassen.
Es existieren zwei sehr unterschiedliche Zugänge zur Kunstproduktion: Zuhören oder Ausdrücken. Margit Preis ist dem Zuhören verpflichtet. Wer den Zeiten, Menschen und Orten zuhört, kann unmöglich immer gleich malen. Unterschiedliche Inhalte verlangen unterschiedliche Formen. Margit Preis dokumentiert. Sie malt, was die Bilder wollen, oder anders gesagt: "Es arbeitet sich." Das ist ein philosophisches Konzept, welches Anlehnungen an den Taoismus und Buddhismus nicht verleugnen kann, und bereits 1999 von Margit Preis und Dominik Dusek im Manifest des Versteckten Realismus in Worte gefasst wurde: "Der Versteckte Realismus verpflichtet sich, […] seinen Wirklichkeitsbezug nicht beweisen zu wollen, sondern darauf zu vertrauen, dass sich dieser zwangsläufig und unerbittlich aus den hemmungslos subjektiven Mosaikteilchen eines Werkes herausschält." [vgl. das vollständige Manifest]
Margit Preis kann mit Obsessionen nicht dienen, sie löst sich vielmehr davon. Das verhilft vielen ihrer Bilder zu einer bemerkenswerten Leichtigkeit und Uneitelkeit, und es bringt die Differenz zu zahlreichen anderen modernen Künstlern auf den Punkt. Künstler, die dem "Sich Ausdrücken" den Vorzug geben (vor dem "Zuhören"), tendieren viel stärker dazu, einen Stil, ein Motiv, ein Thema immer wieder zu verwenden. Ob das Claude Monet mit seinen Seerosen, Arnulf Rainer mit den Übermalungen, Hermann Nitsch mit seinen Blutbildern, Elke Krystufek mit ihren Selbstporträts oder Gerhard Leixl mit seinen Tango-Bildern ist: Hier sind KünstlerInnen am Werk, die etwas ausdrücken wollen, die sich permanent mitteilen müssen. Margit Preis ist da eindeutig abwechslungsreicher, und somit schwerer zu positionieren, schwieriger zu vermarkten und bei jeder Ausstellung für Überraschungen gut.
Die Stilvielfalt von Margit Preis und ihr Rückgriff auf unterschiedlichste (Mal-) Traditionen sind zutiefst postmodern. Sich der Konstruiertheit von "Wirklichkeit" bewusst sein und trotzdem auf die Realität referieren, das ist ein Spiel, welches einerseits wieder zum Taoismus und Buddhismus führt und andererseits zu Umberto Eco und seinen postmodernen (und gut lesbaren) Romanen. Insofern ist es sicher kein Zufall, dass Margit Preis in Wien im Melker Hof lebt und arbeitet, wird doch auch der Roman Il Nome della Rosa von einem Mönch aus Melk erzählt: Der Benediktinernovize Adson de Melk bezeichnet sich selber als Schüler und Adlatus, er ist am Puls der Zeit und dokumentiert sensibel gewöhnliche wie ungewöhnliche Ereignisse. Er erzählt sine ira et studio, und so verschwimmen bei ihm Objektivität und Subjektivität.
Margit Preis schafft ähnlich wie Umberto Eco immer wieder Detail versessene und präzise Werke, die durch ihre Vielschichtigkeit einen enormen Bedeutungsüberhang im Betrachter hervorrufen. Womit wir beim Schlusssatz wären: "Margit Preis lebt und arbeitet in Wien und ist viel zu gut, um sich auf einen Stil festzulegen."

Christian Kniescheck, 2009
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